Gestern ist die Bombe geplatzt.
Manche Stimmen hatten gesagt, nach der Vorstellung von iTunes für Windows wäre die Welt nicht mehr, was sie einmal war. Apple selber titulierte damals mit dem markanten Spruch "Hell freezes over". Später schockte uns Apple mit dem Umstieg auf Intels neue Prozessor-Architektur, und viele Hardliner schworen schon im Vorfeld dem kalifornischen Computer-Hersteller ab.
Kurz nach der Vorstellung der ersten Geräte machten sich findige Hacker daran, einen Wettbewerb zu starten, wer als erstes Windows XP auf den neuen Intelmaschinen zum Laufen bekommt. Ganz vergessen ist inzwischen die Fraktion der Tüftler, die Mac OS X auf jedem beliebigen Intel-kompatiblen Rechner zum Laufen zu bringen. Der Wettbewerb, ausgetragen von der Seite Onmac.net, lief schnell an und machte rasante Fortschritte, bis zwei findige Tüftler den ersten Platz gemeinsam für sich beanspruchen konnten. Sie umgingen das aktuelle EFI-BIOS, das den Start und die Installation von Windows, das immer noch ein altmodisches BIOS voraussetzt, und konnten tatsächlich Windows XP zum installieren und starten bewegen. Leider fehlten hierbei jegliche Treiber, die die Hardware in den Intel-Macs unterstützte; weder Grafikkarten, Erweiterungskarten noch wichtige Kommunikationsmodule wie Airport oder Bluetooth konnten direkt angesprochen werden und funktionierten wenn überhaupt, dann nur rudimentär.
Gestern hat Apple eine Software vorgestellt, die Manche für einen verspäteten Aprilscherz gehalten haben. BootCamp heisst die Software, die ähnlich wie der Hack von Onmac funktioniert und das Installieren von Windows XP, Servicepack 2 auf Intelmacs ermöglicht.Nun kann man gerne behaupten, die Hölle ist nicht nur zugefroren; es herrscht sogar schon tiefste Eiszeit. Die Software, die eigentlich Bestandteil von Mac OS X 10.5 sein soll, ist noch im Beta-Stadium und von der Laufzeit her begrenzt, aber was bedeutet das für Mac-Nutzer? Wer wird dann noch einen Sinn darin sehen, sich einen Mac zu kaufen? 95 % der Welt nutzen eh schon Windows und vor Allem - was bedeutet Apple´s Schritt für die Software-Entwickler? Eines ist jetzt schon klar: das ist entweder der ganz grosse Coup oder der Untergang des Mac OS.

Was mir Angst macht.
Ganz grosse Sorge macht mir, dass nun alle Welt einen Schritt weiter weg von Windows ist und einen Schritt näher zu Mac OS X. Sicherlich kann es sein, dass einige Zweifler, die den Mac nur vom Hörensagen kennen und sich nach wie vor in Vorurteile wie "Es gibt keine Software für Mac" stützen, nun zweimal überlegen, welchen Rechner sie kaufen. Andererseits wird der Ottonormal-Aldicomputerkäufer sicherlich nicht mit einem Schlag seine Stammtisch-Werbeprospekt-Argumente wie 18 Kartenlesegeräte in der Rechnerfront aufgeben und für einen vermeintlich schlechter ausgestatteten Rechner doppelt soviel Geld ausgeben. Aber wenn ich mir dann vorstelle, dass ein erheblicher Teil von Neukunden da auf den Mac-Markt zukommt und trotzdem nur Windows einsetzt, weils an der Aldi-Kasse halt immer noch diese schön bunt verpackten Supersoftware-Pakete gibt...Somit könnte das MacOS ein ähnliches Schicksal erleiden wie damals IBM´s OS/2, dass seiner Zeit und Windows ganz sicher um Meilen voraus war. IBM hatte damals auch den Schritt gemacht, Win-Software auf OS/2 zumindest zu unterstützen, aber das neue System ist trotzdem ausgestorben.

Was ich befürchte
Apple´s klare Dominanz war immer, dass das System an die Hardware gebunden war, und man auf Apple-Maschinen niemals Windows laufen lassen konnte (von Virtual PC und anderen Lösungen mal abgesehen, die ich hier aus offensichtlich mangelnden Performancegründen mal nicht weiter erwähnen will.). Nun ist das Mac OS theoretisch ja immer noch an die Hardware gebunden, aber die Zukunft wird zeigen, ob nicht doch noch ein Hack auftauchen wird, der Mac OS auf beliebigen Rechnern möglich macht.Was auch nicht zu vernachlässigen ist - was wird aus den vielen Software-Herstellern, die ihr Geld damit verdienen, ihre Programme auf den Mac anzupassen? Ich denke dabei weniger an grosse Softwareschmieden im DTP-Bereich wie Adobe oder Quark, obwohl auch diese konzerne sicherlich nun zweimal überlegen werden, Zeit und Ressourcen auf eine Mac-Version zu verschwenden, wenn die User in der Lage sind, schnell mal Windows zu starten. Ich denke aber eher an Unternehmen wie Aspyr oder Feral Interactive, die von der Umsetzung von Spielen auf die Apple-Plattform leben. Gerade bei jüngeren usern ist die Angst, ihren Mac mit Windows zu belasten, sicherlich nicht gross genug gegen die Chance, endlich Spiele ohne monatelange Verzögerung, wenn überhaupt, spielen zu können. Gerade in solchen Firmen ist die Angst vor der Zukunft seit gestern dramatisch gestiegen; bei Application Systems war man derart Baff, dass man uns auf telefonische Anfrage garnicht erst in der Lage war, einen Kommentar abzugeben. Die Software-Häiuser aus Übersee werden auf den meisten News-Seiten im Besten Falle vorsichtig und pessimistisch zitiert. Aktuelle Projekte werden noch fertiggestellt, heisst es, aber danach werde man den Markt betrachten und sehen, ob sich Portierungen noch lohnen. Apple hat, ob nun kalkuliert oder unbeabsichtigt, den Software-Herstellern ein tiefes Loch mitten im Weg gegraben.

Was mich freut
Ich will es nicht verheimlichen. ich freue mich diebisch, mir scheint die Sonne aus dem Arsch. Klar, Firmen wie Valve oder Gamespy, die den MacGame-Markt in letzter Zeit offensichtlich mit voller Absicht behindert haben; sei es nun mit zu hohen Lizenzgebühren für Middleware oder damit, ihre Software erst garnicht für die Portierung angeboten zu haben, bekommen nun endlich den langverdienten Tritt in die Genitalien, und zwar mit Anlauf. Andererseits ändert sich für diese Firmen nichts, man braucht Windows und ein regulär gekauftes Spiel, aber was solls. Mein nächster Rechner wird in der Lage sein, mir mit Halflife 2 endlich ein langersehntes Spielevergnügen zu bringen. Natürlich werde ich die Finger von Counterstrike lassen, aber FarCry darfs dann auch bitte sein. Battlefield 2, ich komme. Vor Allem, wie erwähnt, werde ich die Games spielen, wenn sie veröffentlicht werden. Ich muss nicht manchmal monatelang warten und auf Lans gedemütigt zugeben, dass es Battlefield 2 noch nicht für den Mac gibt und das Game wahrscheinlich auch nie für Mac OS erscheinen wird. Ich werde einfach zur Bewunderung der eh schon beträchtlichen Traube von Zuschauern um meinen exotischen Mac Windows starten und anfangen zu zocken.Vor allem werden wir nun den direkten Vergleich haben: wir können auf ein und derselben Maschine ein Game spielen und die Performance zwischen beiden Systemen testen. Gerade mittelprächtige und schlampige Portierungen werden es hier verdientermassen schwer haben; sollte die Software erst Monate nach der PC-Fassung erscheinen, wird sie sang- und klanglos untergehen.

Was ich hoffe
Apple hat mit der Vorstellung von BootCamp sicherlich einen der grössten Schritte in der unternehmensgeschichte gemacht. klar ist, mit welchem Hintergrund. Man will weg von dem Nischendasein, Macs waren bisher eher nur im Grafik- und Bildungsmarkt vertreten; auch bei Games sind die Communities stark und am wachsen, billden aber trotzem eine Minderheit. Apple will in die Unternehmen, für die der Mac bis jetzt wegen weniger Software keine Alternative war. Und ich hoffe inbrünstig, dass dieser Schritt gelingt, und obwohl ich das stark bezweifle, hoffe ich, dass dieser Schritt auch dann später die entsprechende Mac-Software bringen wird. Fragt man Programmierer, sind alle sehr angetan bis begeistert, wenn es um Entwicklungstools für die Mac-Plattform geht. Ein wichtiger Schritt weiter hin zu Mac OS ist mit Hilfe von BootCamp damit getan. Wenn ein Nutzer die Möglichkeit hat, beide System auf seinem Rechner zu starten, werden gerade Heim-Nutzer bald von den Stärken des Mac OS überzeugt sein.Ich hoffe vor Allem, dass die Software-Entwickler die Mac-Plattform noch weiter wie gewohnt unterstützen. Gerade Adobe hat angekündigt, für seine kommende Creative Suite 3 noch wesentlich mehr Zeit zu benötigen, was die Portierung vom alten PowerPC-Code auf die neue Intel-Architektur angeht. nun wird man dort sicherlich zweimal überlegen, ob sich der Arbeitsaufwand hier überhaupt noch lohnt. Quark andererseits hat den Schritt von Mac OS 9 auf OS X mit ähnlicher Arroganz sehr lange ignoriert und hat derart empfindlich Marktanteile verloren, dass die ehemalige Dominanz im DTP-Markt nicht nur unter Mac-OS, sondern auch unter Windows komplett zusammengebrochen und an Adobe gegangen ist. Hoffentlich haben beide Hersteller (und auch der ganze Rest) aus dieser Erfahrung gelernt. Und nach wie vor wird man einen Mac brauchen, um in den Genuss beider Welten zu kommen.